Mit leichter Sprache zu Bildung für alle

Shownotes

Wie können wir sicherstellen, dass unsere Texte von wirklich jedem verstanden werden?

Zu Gast in dieser Folge ist Barbara Reindl, Literatur- und Sprachwissenschaftlerin sowie freiberufliche Übersetzerin und Referentin für leichte und einfache Sprache. Sie engagiert sich für den Abbau räumlicher, geistiger und sprachlicher Barrieren.

Frau Reindl erklärt die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen leichter und einfacher Sprache und gibt Einblicke, wie diese Sprachkonzepte Barrierefreiheit fördern. Sie teilt praktische Tipps zur Umsetzung verständlicher Kommunikation und betont die Bedeutung zielgruppenorientierter Texte.

Interessierst du dich dafür, wie leichte und einfache Sprache nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten, sondern auch allen anderen zugutekommt? Dann hör dir diese Folge an und erfahre, wie du deine Kommunikation klarer und zugänglicher gestalten kannst!

Wenn Du mehr von Barbara Reindl lernen möchtest, schreib ihr gerne: ba.reindl34@googlemail.com

Transkript anzeigen

00:00:01: Sprecher]: Die Bildungsbanane Der Podcast über digitale Barrierefreiheit an Volkshochschulen.

00:00:19: Mirijam Kobzan]: Warst du schon einmal in einem anderen Land, dessen Sprache du nicht oder kaum verstanden hast? Straßenschilder, Speisekarten oder Informationen zum Nachverkehr lesen. All das gestaltet sich dann schwierig. Oft ist es uns nicht bewusst, aber auch in Deutschland leben viele Menschen, die Schwierigkeiten beim Lesen haben. Wir wollen uns heute damit beschäftigen, wie wir Texte formulieren können, die wirklich jeder verstehen kann. Zu Gast habe ich Barbara Reindl. Sie ist Literatur- und Sprachwissenschaftlerin und seit 2016 freiberuflich Übersetzerin und Referentin für leichte und einfache Sprache. Da sie wegen einer neurologischen Erkrankung selbst im Rollstuhl sitzt, kennt sie sich mit Barrieren aus. Deswegen liegt es ihr im Herzen, dass nicht nur räumliche, sondern auch geistige und sprachliche Barrieren abgebaut werden. Dafür setzte sie sich auch auf landespolitische Ebene in verschiedenen Hamburger Beiräten ein. Liebe Barbara, herzlich willkommen bei der Bildungsbanane. Ich freue mich total, dass du heute dabei bist. Und ich habe ja vorher gesagt, überleg dir doch gerne drei Hashtags, mit denen du dich vorstellen kannst und verrätst du mir, welche das sind.

00:01:23: Barbara Reindl]: Genau, meine Hashtags sind neugierig, kommunikativ und beharrlich. Ich glaube, dass diese Hashtags ganz gut mein Wesen oder ein Teil meines Wesens beschreiben.

00:01:38: Mirijam Kobzan]: Das heißt, das zieht sich durch dich als Persönlichkeit und natürlich auch dadurch, wie du arbeitest. Sehr cool.

00:01:44: Barbara Reindl]: Genau, das trifft es ganz genau, wie du sagst, das ist mein Wesen und dementsprechend arbeite ich auch und gerade Thema Neugierde, Kommunikation. Also es gibt ja den schönen Spruch von Karl Jaspers: Alles, was wir sind, sind wir in Kommunikation. Und das ist eben ein Spruch, der auch meine Arbeit prägt, weil was ich nicht kommunizieren kann, das kann ich auch schwer vermitteln, weil ich kann nicht Gebärdensprache. Also wir sind kommunikative Wesen und es ist gut, wenn wir aufeinander zugehen, miteinander sprechen. Wir sprechen viel zu wenig miteinander, ist meine Meinung. Und Beharrlichkeit einfach, weißt du ja vielleicht selber, man muss einfach dranbleiben, Niederlagen einstecken, negativ ausgedrückt heißt es ja, man ist penetrant. Ich sage immer, ich bin beharrlich, also die Fähigkeit dran zu bleiben und immer wieder nachzuhaken und zu sagen, ich will das lösen, ich will das rausbekommen, ich will dahin kommen, wie schaffe ich es.

00:02:45: Mirijam Kobzan]: Das heißt, du bist auch eine Problemlöserin.

00:02:48: Barbara Reindl]: Ja, so würde ich mich auf alle Fälle bezeichnen. Also Probleme sind dafür da, um gelöst zu werden. Geht nicht, gibt es nicht. Also ganz so eng würde ich es nicht sehen. Dennoch glaube ich, dass es für die allermeisten Probleme auch Lösungen gibt. Man muss sich eben auf den Weg machen und suchen, also nicht im Istzustand verharren und sagen, oh, ich bin die Ärmste, sondern sagen so, ich habe jetzt ein Problem, wie kann ich da rauskommen. Das geht manchmal schneller, manchmal weniger schnell, manchmal muss man auch erst jammern oder sich bemitleiten. Es ist wichtig, dass man dann den Blick nach vorne richtig und sagt, was kann ich jetzt aus der Situation, wie kann ich da rauskommen.

00:03:31: Mirijam Kobzan]: Jetzt hast du schon immer wieder deine Arbeit angesprochen. Erzähl uns doch ein bisschen mehr davon. Es hat ja mit Kommunikation zu tun. Das heißt, kommunikativ gehört auf jeden Fall mit rein.

00:03:40: Barbara Reindl]: Genau. Ja meine Arbeit, die ich momentan mache, also ich bin Freiberuflerin, ist eben Übersetzen von schweren Texten oder schwer zu lesenden Texten in einfache oder leichte Sprache. Dazu gebe ich auch eben Seminare oder Vorträge. Ich bin also im Bereich barrierefreie Informationen unterwegs. Ich finde das einen a) sehr wichtigen Bereich, weil ich eben durch diese Arbeit Menschen Informationen in Zukunft zu Informationen geben kann, die eben sonst nicht an Informationen gelangen würden. Und zum anderen ist es ein sehr vielfältiger Bereich, weil leichte und einfache Sprache ja inzwischen in allen Bereichen unserer Gesellschaft angekommen sind. Das heißt, ich habe mit Texten aus allen Bereichen zu tun und aus allen Sparten. Also sei es jetzt Gesetzestexte, sei es Museumstexte, sei es Flyer gestalten für eine Organisation. Und das sind immer aktuelle Texte oder in der Regel aktuelle Texte. Das heißt, man ist auch sehr nah am Puls der Zeit, was politisches oder gesellschaftliches Leben anbelangt. Das finde ich auch so spannend. Und man hat natürlich auch mit den Menschen selber zu tun, die in der Regel diese Formen der Kommunikation benötigen. Also das heißt, ich arbeite auch sehr gerne mit der Zielgruppe selber in der leichten Sprache mit Menschen mit geistigen Behinderungen oder Menschen mit Lernschwierigkeiten, wie sie sich ja selbst bezeichnen.

00:05:17: Mirijam Kobzan]: Ja, sehr cool. Jetzt hast du direkt meine nächste Frage vorweggenommen, weil ich kann mir vorstellen, es gibt Leute, die jetzt gerade zuhören und nicht genau wissen, was leichte und einfache Sprache ist und ich gebe zu: Ich wusste, bevor ich jetzt bei der VHS war, tatsächlich auch nicht, was das genau ist. Ich wusste zwar, dass es natürlich Kommunikationsmittel, Sprachmittel gibt, um mit Menschen zu arbeiten, denen vielleicht lesen, schwerfältig, ich habe selber Legasthenie, bei mir betrifft nur die Rechtschreibung, nicht das Lesen. Aber ich kenne deswegen so diese Gruppe Menschen sehr gut. Aber ich wusste tatsächlich nicht, dass es dafür feste Regeln gibt. Und ja, vielleicht kannst du uns dazu noch ein bisschen was verraten.

00:05:56: Barbara Reindl]: Genau, also da bist du nicht die Einzige, die da Probleme hat oder hatte, das zu unterscheiden. Und viele kennen tatsächlich nicht den Unterschied. Also vielleicht fängt man erst mal auch bei den Gemeinsamkeiten an, leichte und einfache Sprache sind beides Sprachkonzepte, um Barrierefreiheit im kommunikativen Bereich zu schaffen. Also sie dient den Abbau von Sprachbarrieren. Sie sind Zielgruppenorientiert. Das heißt, ich richte mich immer nach der jeweiligen Zielgruppe, die den Text lesen soll. Also ich schreibe nicht so, wie es mir grad in den Sinn kommt, weil ich das jetzt schick finde oder am besten gelöst. Sondern ich muss mich immer danach orientieren, was die Menschen, die den Text lesen sollen, dass die den Text verstehen. Das heißt, gut ist immer, wenn man seine Zielgruppe kennt, sich vorher informiert hat. Was haben die für Vorwissen, zu einem bestimmten Thema? Über welche Informationen verfügen sie? Und beide Konzepte versuchen Verständlichkeit herzustellen. Und da sind wir dann auch sehr schnell bei den Unterschieden. Das machen sie nämlich auf eine unterschiedliche Art. Also Unterschiede sind zunächst einmal die Zielgruppen selber. Bei leichter Sprache sind es, die Zielgruppe ist sehr genau definiert. Das heißt, das sind Menschen, die eine Behinderung haben im kognitiven Bereich, das sind in erster Linie Menschen mit Lernschwierigkeiten. Dazu gehören aber auch Menschen mit einer angeboren oder erworbenen Hirnschädigung. Und bei einfacher Sprache ist es so, im besten Fall ist einfache Sprache für alle Menschen gut. Denn sowohl ich als auch du oder mein Nachbar oder selbst ein Herr Professor kann vielleicht bestimmte Texte nicht verstehen, weil es nicht, weil man die Fachsprache nicht kennt. Also es dient eben dazu, Zugang zu Fachsprachen zu gewähren, indem man die Texte eben so schreibt, dass sie auch für den Laien verständlich sind. Also es ist die Laien-Fachsprache-Kommunikation sozusagen. Es ist auch insbesondere für Menschen, die nicht so gut Deutsch können. Also Menschen, die aus anderen Ländern dazu uns jetzt kommen, Migrationshintergrund haben. Und es ist eben auch für Menschen, die eben nicht so gut Deutsch können. Also es ist eigentlich letztendlich für alle Menschen gedacht. Das ist so das Ziel oder die Vorstellung, die auch dahintersteckt.

00:08:25: Mirijam Kobzan]: Ich muss sagen, in der Uni hätte ich mir echt gewünscht, dass die ganzen Texte, die ich lesen musste, in einfacher Sprache verfasst worden wären. Denn ich hatte mit deutschen Texten echt extreme Schwierigkeiten. Ich habe Sachen teilweise 3-4 Mal lesen müssen, bis ich verstanden habe, was die Person jetzt eigentlich von mir will, weil der Satz über die halbe Seite geht. Während englische Texte, obwohl es sich eigentlich an ein Fachpublikum gerichtet hat, immer sehr einfach formuliert waren. Und ich dachte, also jeder, auch Kinder könnten jetzt verstehen, was da gemeint ist. Und da ist mir tatsächlich zum ersten Mal aufgefallen, dass Kommunikation in Texten also fachlich hoch sein kann und verständlich sehr einfach.

00:09:03: Barbara Reindl]: Ja, das ist richtig. Ich muss noch gerade nachschieben. Zielgruppen, ich habe nämlich die Hauptzielgruppe für einfache Sprache. Ist mir gerade entfallen. Die Hauptzielgruppe ist an für sich Menschen mit einer geringen Literalität. Man sagt auch einfach Menschen mit geringer Lese und Schreibfähigkeit. Früher wurden die oft auch als Analphabeten bezeichnet. Diese Verwendung wird nicht mehr genommen. Man sagt in der Fachsprache, die haben eine geringe Literalität. Und wenn man diese Gruppen alle zusammennimmt, dann sind es tatsächlich 53 Prozent der Bevölkerung. Also das heißt, diese Personen können keine Fachtexte verstehen und auch keine Behördentexte. Da kann ich unter Umständen auch dazu gehören. Es kommt immer auf den Bereich drauf an. Daran sieht man, dass eben einfache Sprache für sehr, sehr viele Menschen gut geeignet ist, um eben Informationen zu transportieren. Was eben jetzt Verständlichkeit anbelangt. Man sagt immer einen Text oder einen Satz mit fünf Wörtern, der kann genauso kompliziert sein wie ein Satz mit 15 Wörtern. Also Verständlichkeit hängt nicht unbedingt nur von der Satzlänge ab, sondern von vielen anderen Kriterien. Das fängt an von der Wortwahl, ob die Wörter zusammengesetzt sind. Also lange Wörter oder eher kurze Wörter, bekannte Wörter. Ob ich Nebensätze einbaue und so weiter und so fort. Fremdwörter ist auch eine große Verständnisbarriere. Deswegen also Verständlichkeit ist immer die Voraussetzung, damit ich etwas verstehen kann und wie ich Verständlichkeit erzeuge, dazu gibt es eben verschiedene Mittel und auch verschiedene Modelle.

00:10:54: Mirijam Kobzan]: Ich muss da immer dran denken, das war für mich ein ganz große, neue Welteröffnung, dass mir mal ein Neuroprofessor erklärt hat, wie wir verstehen und lernen. Wir können uns vorstellen, dass unser Gehirn wie eine große Mindmap ist. Wir haben immer einen Punkt, von dem ganz viele Strahlen ausgehen, und dann kommen neue Punkte. Wenn ich jetzt mit jemandem über etwas rede und ich habe einen Punkt, von dem Strahlen ausgehen und die andere Person hat diesen Punkt nicht, dann kann sie alles nicht verstehen, was ich ihr erkläre. Das heißt, ich müsste viel weiter vorne anfangen und erst diesen Punkt aufbauen, damit das funktioniert. Ich stelle mir das tatsächlich auch vor bei leichter und verständlicher Sprache, dass man sozusagen an den Punkten anfängt, wo die Person vielleicht noch nicht weiß, worum es geht und dadurch dann das Verständnis erzeugen kann.

00:11:44: Barbara Reindl]: Genau, das ist ein guter Aufhänger, also was du gerade geschildert hast. Es geht ja um die Vernetzung im Gehirn. Kann ich an ein Vorwissen anknüpfen oder nicht? Das heißt, das ist in die Barriere des Vorwissens. Ich muss meine Zielgruppe da abholen, wo sie sich befindet. Ich habe ja vorhin gesagt, leichte Sprache und einfache Sprache sind zielgruppenorientiert. Das heißt, je besser ich selbst weiß, was meine Zielgruppe an Vorwissen zum Thema hat, umso weniger muss ich erklären, umso höher kann ich ansetzen. Und wenn eben dieses Vorwissen nicht vorhanden ist, dann muss ich eben erst mal einen Kontext herstellen. Das heißt, ich muss vielleicht erst mal erklären, was überhaupt die Leute in der Museumsaustellung sehen oder was ein Wahlprogramm ist. Es kann sein, dass ich das erst mal erklären muss in einem Vorspann, damit die Personen eben mitgenommen werden können. Denn wenn ich einfach anfange, dann meine Sätze zu übersetzen und die wissen gar nicht, worum es geht, inhaltlich oder womit das zusammenhängt, dann wird es sehr schwierig. Und das Beste ist immer, man bezieht sich auf deren Erlebniswelt. Also so, dass es in ihr eigenes Erleben einbauen können oder in ihr eigenes Wissenverständnis.

00:12:59: Mirijam Kobzan]: Eigentlich sollte Kommunikation ja immer so sein. Wenn man sich das mal so grundlegend überlegt, eigentlich sollten wir immer so kommunizieren, weil nur so verstanden werden kann, was wir eigentlich wollen.

00:13:11: Barbara Reindl]: Das ist sehr richtig, deswegen gibt es ja so viele Missverständnisse, auch in der Partnerschaft, bei Menschen, die sich gut verstehen. Ich habe auch das Problem mit einer Freundin von mir, wo wir oft einander vorbeireden, weil wir eine sehr unterschiedliche Art haben, zu denken. Oder wenn man jemand ist, der sehr schnell weiter denkt, dann ist der eine vielleicht noch bei A, und die andere Person ist vielleicht schon bei Punkt C. Und dann fehlen aber die Zwischenschritte, und dann stehe ich da und sage, tut mir leid ich kann dir nicht folgen. Also weil mir eben bestimmte Schritte fehlen.

00:13:45: Mirijam Kobzan]: Und das, obwohl du Expertin für leichte und einfache Sprache bist.

00:13:51: Barbara Reindl]: Ja, ich bin nicht nur Expertin für einfach und leichte Sprache. Ich glaube, ich bin was Kommunikation anbelangt ganz gut. Ja, also wie gesagt...

00:14:00: Mirijam Kobzan]: Das ist beruhigend. Wenn ich das so sagen darf, dass ich auch beruhigend zu hören, dass selbst du solche Situationen erlebst. Also immer wieder sozusagen, dass das Ziel dahin zurückzukommen, dass der andere dich versteht. Und auch wenn du... Also es passiert jedem. Ich glaube, das ist, glaube ich, ein ganz guter Punkt. Es ist einfach, dass man immer wieder dranbleiben muss, wie du vorhin schon gesagt hast, beharrlich dran bleiben, damit man das umsetzen kann.

00:14:25: Barbara Reindl]: Ja, und ich denke, es hängt ja auch damit zusammen, dass wir nicht nur auf der Inhaltsebene kommunizieren, sondern auch auf der Beziehungsebene und Wörter. Begriffe eben mit bestimmten Erfahrungen, Inhalten, Werten aufgeladen sind. Dadurch komme eben viele Missverständnisse zustande.

00:14:41: Mirijam Kobzan]: Ja, und damit das zukünftig ja nicht mehr so ist, ich habe gehört, dass eigentlich ab dem nächsten Jahr jeder auf seiner Webseite Leichte Sprache haben sollte. Zumindest bestimmte Unternehmen oder Institutionen. Was kannst du uns darüber sagen?

00:14:58: Barbara Reindl]: Genau, also es ist richtig und nicht ganz richtig. Also nicht jeder, ich jetzt als Privatperson, muss das nicht haben. 2025 tritt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz in Kraft. Das betrifft jetzt auch besonders die private Wirtschaft. Vorher mussten barrierefreie Websites Bundesbehörden haben oder Einrichtungen, die eben von Bundesbehörden gefördert werden. Dazu gehört eben auch, meines Wissens nach eine VHS. Und eben ab 2025 müssen das auch private Wirtschaftsunternehmen, die eben im eCommerce unterwegs sind, also Produkte anbieten, verkaufen, die müssen ihre Websites barrierefrei gestalten. Das betrifft jetzt nicht nur die Verständlichkeit, sprachliche Verständlichkeit, sondern die ganze Nutzbarkeit der Website. Das heißt, sie muss auch für blinde Menschen zugänglich sein, eben durch die Navigation über die Tastatur statt über einer Maus. Sie muss so programmiert sein, dass sie eben leicht zu bedienen ist. Und bestenfalls auch noch Gebärdensprachvideos aufweist. Also das ist ein sehr komplexes Thema. Und das ist ein weiterer Baustein. Es gibt natürlich wie immer viele Sonderregelungen, aber es ist ein weiterer wichtiger Schritt, um Barrierefreiheit im Web herzustellen. Und das andere ist eben, Grundlage ist eben die EN-Norm 301549. Die Norm, die eben für die digitale Barrierefreiheit in ganz Europa gilt. Also alle europäischen Länder, die eben dazu gehören, die sind jetzt angehalten, das nach und nach umzusetzen. Und es wird auch überprüft. Also es gibt eine Stelle, die tatsächlich überprüft, ob Websites barrierefrei gestaltet sind oder nicht. Und dann bekommt man eben sonst auch eine Abmahnung.

00:16:51: Mirijam Kobzan]: Wenn wir das wieder in Bezug setzen zur leichten und einfachen Sprache, was bedeutet das?

00:16:57: Barbara Reindl]: Ich denke, das ist ein weiterer Schritt in Richtung Inklusion und ein weiterer Schritt Richtung der Umsetzung der UN, Behindertenrechtskonvention. Also UN-Behindertenrechtskonvention, ist ein Übereinkommen von, ich glaube, knapp 100 Staaten, die sich eben darauf geeinigt haben, was Barrierefreiheit bedeutet, wie Menschen mit Behinderungen inkludiert werden sollen. Und die eben auch den Begriff von Behinderung überhaupt neu definiert hat. Also nicht mehr als ein Defizit, sondern dass Menschen mit Behinderung eben durch ihr Umfeld und Barrieren in der Umwelt eben ausgegrenzt werden. Und da wird eben auch die Barrierefreiheit von Informationen in allen Bereichen gefordert, ohne dass Menschen mit Behinderung fremde Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Also das ist ein wichtiger Punkt. Ich kann selbstbestimmt tätig sein und aktiv sein, als ein Mensch, der eben in irgendeiner Form eingeschränkt ist.

00:18:02: Mirijam Kobzan]: Das bedeutet jetzt aber nicht, dass ich meine komplette Seite in leichter Sprache zum Beispiel schreiben müsste?

00:18:07: Barbara Reindl]: Nein. Also was barrierefrei dann sein muss, ist, so viel ich weiß, also da bin ich jetzt nicht 100% sicher, aber meines Erachtens bezieht sich die Barrierefreiheit in erster Linie erst mal auf die Bedienbarkeit. Leichte Sprache ist nachgeordnet, also das geht ja nach dem Standard der WCAG, also des Web Content Accessibility Guidelines, die sind der internationale Standard. Und da gibt es eine Abstufung in drei Stufen A, AA und AAA. Und barrierefrei gilt eine Website ab AA, da gehört aber noch nicht leichte Sprache dazu. Also vollständig und komplett barrierefrei, dann ist ein AAA, das ist aber nicht die unbedingte Voraussetzung, damit es schon als barrierefrei gilt. Also leichte und einfache Sprache sind immer noch so zu sagen, das Bon-Bon oben drauf. Gleichwohl in Deutschland ist es anders geregelt, also da in anderen Ländern weiß ich das jetzt nicht, aber in Deutschland ist tatsächlich so, dass wir in Deutschland selbst noch eine Verordnung haben, das ist die BITV20, also die barrierefreie Informationstechnikverordnung, und die besagt eben, dass barrierefreie Websites auch Informationen in leicht verständlicher Sprache bereitstellen müssen. Also in der Form ist Deutschland tatsächlich auch mal gut aufgestellt.

00:19:34: Mirijam Kobzan]: Okay, sehr spannend. Ich glaube, dass vor allem die VHS davon profitieren kann, davon abgesehen, dass wir eigentlich schon da sein müssten. Und das natürlich trotzdem auch ein Weg ist, das alles umzusetzen. Also wir sind da auf jeden Fall noch nicht so perfekt, wie wir vielleicht sein wollen. Aber das Thema leichte Sprache und einfache Sprache ist, glaube ich, ein ganz großer Schritt und auch eine Fähigkeit, die vielen helfen würde. Denn unser Ziel ist ja die Erwachsenenbildung. Und ganz, ganz viel geht es auch um Sprachkurse für Menschen, die jetzt Deutsch lernen wollen, zum Beispiel, oder eben auch die komplett unterschiedlichsten Zielgruppen. Wir wollen nicht immer nur Fachpublikum erreichen, damit die Weiterumbildung machen, sondern jeden. Und ich dachte mir, vielleicht können wir ein bisschen überlegen, wie leichte Sprache oder auch erst mal die einfache Sprache kann uns das helfen.

00:20:31: Barbara Reindl]: Ich gehe jetzt mal von dem Bildungsauftrag der VHS aus. Also möglichst viele Menschen sollen ja Teil haben an Bildung. Und letztendlich geht es auch um demokratischen Prozess, der eben alle teilhaben lassen soll oder die Menschen sollen partizipieren können. Und das kann man eben nur, wenn man Informationen auch versteht. Also ich muss ja wissen, was gibt es für Texte für Rechte, um teilhaben zu können. Jetzt nochmal speziell VHS. Ich denke im Bereich einfacher Sprache, angefangen von der Website, wenn ich die barrierefrei aufbereite oder so, dass viele Menschen das verstehen können. Ich erreiche a) sehr viel mehr Menschen. B) Schafft es Vertrauen. Vertrauen erzeugt man dadurch, dass Texte, die ich lese, wenn ich die gut verstehen kann, dann weiß ich ja a) Das erwartet mich a) das soll ich lieber nicht machen. So geht, ist der ganze Prozess, so kann ich eine Ermäßigung bekommen, so kann ich absagen. Also die Informationen sind gut verständlich und das erschafft Vertrauen. Es wurde auch festgestellt, dass das eine große Zeitersparnis mit sich bringt. Jetzt bei dem jeweiligen Anbieter, weil es eben wesentlich weniger Anfragen gibt, weil Menschen irgendetwas nicht verstehen. Und das ist sozusagen eine Win-Win-Situation für beide Seiten, also sowohl für den potenziellen Kunden, als auch für den Anbieter. Es schafft für beide Zeitersparnis, Zufriedenheit, Vertrauen. Also das allein jetzt vom Benefit-Gedanken her gesehen.

00:22:13: Mirijam Kobzan]: Total gut, weil da habe ich tatsächlich noch gar nicht dran gedacht. Ich habe bisher immer nur die Vorteile für die Zielgruppe gesehen, aber den Vorteil, dass das uns natürlich auch Arbeit erspart, Da bin ich tatsächlich jetzt noch gar nicht drauf gekommen. Aber natürlich, wenn weniger Rückfragen kommen, dann habe ich mehr Zeit für andere Sachen. Und das ist wieder das Typische, wenn ich ein bisschen Zeit investiere, um zu lernen, verständlicher zu schreiben, in leichter oder einfacher Sprache. Dann bringt das wieder langfristig sehr viel Zeitersparnis mit sich und eben vielleicht doch tatsächlich öfters mal mehr Zufriedenheit, einfach weil man weiß, als Kunde, was kommt auf mich zu, was muss ich mitbringen, was erwartet mich. Und es eben keine Missverständnisse gibt, dass jemand sagt, oh, okay, ich dachte, ich kriege das Buch gestellt, und jetzt muss ich es selber kaufen. Also solche Sachen kommen da auf jeden Fall mit als Pluspunkt, wenn ich das umsetze. Und natürlich auch, wir sollten, glaube ich, hier auch als ein gutes Beispiel vorangehen, alle zu erreichen. Denn genau das ist ja unser Ziel. Also wir wollen niemanden ausgrenzen bei der VHS. Und wenn wir so noch mehr Menschen erreichen können und die unsere Angebote in Anspruch können, ist das Win-win, wie du gesagt hast, richtig toll.

00:23:27: Barbara Reindl]: Ja, vielleicht darf ich da noch kurz ein Beispiel einfügen. Ich unterrichte ja schon jetzt einige Jahre an der VHS und dort auch immer wieder die Lehrkräfte. Und ich mache mir dann auch immer tatsächlich die Mühe und Arbeit, einen Text von deren Website zu nehmen, um daran aufzuzeigen, welche Sprachbarrieren in dem Text vorhanden sind. Und ich stelle immer wieder fest, dass da ein großes Aha-Erlebnis ist, also wie man es wirklich einfacher machen kann. Und wenn man sozusagen bildlich gesprochen mit der Nase darauf gestoßen wird, welche Sprachbarrieren überflüssig sich wirklich in den Texten befinden. Und gerade wenn wir noch an die Zielgruppe Menschen mit Migrationshintergrund denken, wird eben gerade durch viel, es wird ja auch viel mit Bildsprache gearbeitet oder mit sehr komplexen Begriffen, wenn ich das eben alles weglasse oder erkläre, dann kann ich eben Menschen viel besser und viel einfacher erreichen und es lohnt sich. Und in dem Zusammenhang gebe ich einfach auch noch mit, dass der bewusste Umgang mit Sprache, dass der auch mit der eigenen Persönlichkeit was macht. Also wir reden ja alle gern viel und schnell und wiederholen uns ständig. Wenn ich eben Sprache bewusst einsetze, dann bin ich mir auch meiner selbst viel mehr bewusst. Und das ist ein Gefühl, das oder das stärkt auch die eigene Persönlichkeit.

00:24:52: Mirijam Kobzan]: Ja, kann ich gut nachvollziehen. Du hast ja gesagt, dass 53 Prozent der Bevölkerung nur einfach Texte lesen können. Das ist ja eine unglaublich große Zahl.

00:25:09: Barbara Reindl]: Ja, das ist richtig. Das heißt, sie bewegen sich auf den Sprachniveaus A1 bis B1. Und darüber hinaus wird es dann schon schwierig. Also, weil dann geht es in die Fachtextbereich und das sind wirklich 53 Prozent, die eben auf die einfach oder leichte Sprache angewiesen sind und die restliche Prozentzahl, die sind eben fähig auch komplexere Texte zu entschlüsseln. Aber das ist eben der weitaus geringere Teil.

00:25:37: Mirijam Kobzan]: Hast du uns ein paar Tipps mitgebracht, wie wir vielleicht das schon mal, wie man starten kann. So, wenn jetzt jemand zugehört hat und ganz begeistert ist, was kannst du uns raten?

00:25:48: Barbara Reindl]: Ja, ich gehe jetzt mal wirklich vielleicht auf die Textebene, also Schreibtipps, die für jeden anwendbar sind, für jede Person. Also der erste Tipp wäre Wörter verwenden, die eben der Zielgruppe bekannt sind. Als zweiten Tipp immer das gleiche Wort für die gleiche Sache. Das bedeutet, dass ich nicht, wie wir es lieben, Synonyme verwende, sondern wenn ich einmal schreibe, Sparkasse, also das ist ein Wort, das ja zumindest in einer bestimmten Altersgruppe sehr bekannt ist, dann schreibe ich immer Sparkasse und nicht einmal Sparkasse und dann Bank und dann Geldinstitut. Sondern die Sparkasse ist eben die Sparkasse. Ich verwende kurze Sätze, das heißt keine Nebensätze und ich verwende auch eine aktive Sprache. Aktive Sprache bedeutet keine Passivkonstruktionen, also ich sage nicht, das Fenster wird geöffnet, sondern ich sage, Herr Soundso öffnen Sie bitte das Fenster. Das geht natürlich nicht immer, dafür muss ich natürlich wissen, wer was macht, aber wenn das möglich ist, immer aktiv formulieren und dann auch die Nominalisierungen, so weit es geht, vermeiden. Nominalisierungen, das sind Verben oder Adjektive, die in ein Substantiv überführt werden. Also wenn ich zum Beispiel das Adjektiv dunkel habe, da wird daraus die Dunkelheit, wenn ich dann sage, ich fürchte mich in der Dunkelheit, dann ist das abstrakt. Wenn ich aber sage, ich fürchte mich, wenn es dunkel ist, dann wird es wieder konkret, es landet wieder auf der Sinnes-Ebene, sage ich immer. Und weil eben gerade Behördentexte, die wimmeln nur so von Nominalisierungen und Nominalisierungen machen eine Sprache abstrakt. Das wären jetzt meine fünf Tipps.

00:27:33: Mirijam Kobzan]: Total spannend. Was mich jetzt total überrascht hat, ist, dass Nominalisierungen tatsächlich Texte so viel schwieriger machen. Ich habe da noch nie drüber nachgedacht, weil wir nutzen die, glaube ich, als Deutsche total gerne so etwas wie Dunkelheit und das macht, ja, gefühlt, macht das Texte, hebt das das auf eine andere Stufe rein und genau das ist ja dann in dem Fall auch das Problem. Also wenn ich sage, ich fürchte mich, wenn es dunkel ist, dann ist das für mich viel greifbarer. Das werde ich jetzt auf jeden Fall mal mitnehmen und sehr darauf achten. Oder auch, dass ich weniger Synonyme nutze, weil ich kann mich noch tatsächlich sehr gut daran erinnern, wie meine Lehrer immer gesagt haben, ja Miriam, nutzt doch mal Synonyme hier, das verbessert deine Texte und ich habe das mir quasi antrainiert, möglichst viele Synonyme für etwas zu finden und wenn ich Texte lese, wo dann dreimal hintereinander das gleiche Wort kommt, dann ist in meinem Kopf direkt das Vorurteil „Oh mein Gott das ist total simpel, da muss doch ein Synonym rein.“ Also man hat da manche vielleicht auch Glaubenssätze, die da erstmal überarbeitet werden müssen. Ja also das ist jetzt schonmal eine Aufgabe und ich freue mich wenn andere, die gerade zugehört haben sich auch mal daran wagen und natürlich ist es so und ich denke, das darf ich sagen, Barbara, dass jeder, der lernen möchte, wie leichte und einfache Sprache funktioniert, natürlich zu dir kommen kann. Du hast ja gesagt, du gibst Kurse an der VHS, vielleicht, ich weiß nicht, wie das ist in diesem Semester, ob da noch welche anstehen, vielleicht können wir die auch verlinken, dass jeder, der da Interesse hat, tiefer einzugehen, das auch lernen kann von dir.

00:29:03: Barbara Reindl]: Genau. Also ich biete an der vhs in Hamburg oder auch in Lüneburg, biete ich Kurse an zur einfachen Sprache, das sind jetzt auch noch welche gerade im Angebot, ansonsten gar nächstes Semester wieder und ansonsten einfach auch, kann man mich anschreiben und einfach anfragen, ich kann auch gerne, mache natürlich auch In-Hous-Schulungen, Online, in Präsenz und so weiter, also da bin ich sehr flexibel, wenn Interesse besteht.

00:29:28: Mirijam Kobzan]: Sehr super. Liebe Barbara, das war jetzt in Anführungszeichen ein Spurt durch das Thema, aber ich glaube, wir haben es geschafft, das Ganze genau mit dem Ziel verständlich zu kommunizieren und grundlegend zu erklären, was ist leichte und einfache Sprache, warum brauchen wir das und wie profitieren wir auch davon, das zu nutzen? Ja, ich möchte nochmal ganz herzlich danke sagen, dass du heute diese Podcast-Folge mit uns gemacht hast. Ich habe mich total gefreut, dass wir dieses Thema aufgreifen können.

00:30:00: Barbara Reindl]: Der Dank geht zurück, also sehr gerne, ich habe mich sehr gefreut über die Einladung und mir ist es auch ein Anliegen, ein Herzensanliegen, eben das Thema leichte und einfache Sprache möglichst bekannt zu machen, weil eben letzten Endes alle Menschen davon profitieren können und ich das eben als einen wichtigen Schritt im Zusammenhang mit Inklusion sehe.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.